Großes Finale vor dem kleinen Finale

KTV Obere Lahn - SKV 39:40

Das im Vorfeld als „Großes Finale vor dem kleinen Finale“ titulierte Lokalduell zwischen der KTV Obere Lahn und der Siegerländer Kunstturnvereinigung hat alle Erwartungen an hochklassigen Turnsport, Spannung und Emotionen mehr als erfüllt. Am Ende lagen sich die SKV Turner als glückliche, aber verdiente Sieger in der mit knapp 1500 Zuschauern vollbesetzten Biedenkopfer Sporthalle in den Armen und feierten die erreichte Finalteilnahme am 3. Dezember in der Ludwigsburger MHP Arena als Sahnehäubchen einer ohnehin schon sehr erfolgreich verlaufenen Aufstiegssaison.

Turner und Offizielle der KTV Obere Lahn haderten dagegen mit den Besonderheiten des Wettkampfausganges – vier von sechs Geräten konnte die KTV gewinnen, auch nach den erzielten Gesamtpunkten lag man knapp in Front, trotzdem entführte die SKV aufgrund deutlicher Vorteile am Boden und Sprung den für die Finalqualifikation entscheidenden Sieg mit der Winzigkeit vom einem einzigen Scorepunkt ins benachbarte Siegerland. 39:40 zugunsten des Aufsteigers lautete das Endergebnis.

Beide Mannschaften konnten nicht in ihrer Bestbesetzung in diesen Wettkampf gehen. Auf Seiten der Siegerländer fehlte der Belgier Daan Kenis, der sich unter der Woche eine Gesichtsverletzung bei einer Kollision mit der Reckstande zugezogen hatte. Der US-Amerikaner Kanji Oyama konnte Kenis aber vor allem am Boden mehr als ersetzen, während der krankheitsbedingte Ausfall von Stammturner Sebastian Quensell und vor allem des besten deutschen Nachwuchsturners Nick Klessing, der vom Deutschen Turnerbund für das gleichzeitig in Cottbus stattfindende „Turnier der Meister“ gemeldet worden war, von den Hessen nicht ausgeglichen werden konnte. Da half es auch wenig, dass Olympiasieger Fabian Hambüchen seine Ankündigung wahr machte und beim letzten Heimwettkampf für seine KTV Obere Lahn an die Geräte ging, zumal er sich auf Sprung und Reck beschränken und auch dort dem durch die zahlreichen öffentlichen Auftritte nach seinem Olympiasieg reduzierten Trainingsvolumen erkennbar Tribut zollen musste.

Der Wettkampf selbst begann beim Bodenturnen mit einem Paukenschlag der SKV, die alle vier Duelle klar für sich entscheiden konnten, so dass dieses Gerät mit 14:0 Scorepunkten an die Siegerländer ging. Philipp Herder (14,25), der wieder genesene Matthias Fahrig (14,80), Kanji Oyama (14,65) und Jonas Rohleder (13,75) erzielten zusammen 57,40 Punkte, was Saisonhöchstleistung an diesem Gerät bedeutete, an dem die SKV in allen sieben Wettkämpfen 2016 ungeschlagen blieb. „Schraubenkönig“ Oyama wurde erstmals am Boden eingesetzt, seine mit vielen schwierigen Kombinationen durchsetzte Übung zeigte aber, weshalb der quirlige Amerikaner mit japanischen Wurzeln Bodenturnen als seine Lieblingsdisziplin einstuft.

Auch das Ergebnis des anschließenden Seitpferdturnens spiegelt den bisherigen Saisonverlauf wieder. Zwar konnte der sich weiterhin im Aufwind befindliche Philipp Herder sein Duell gegen Lasse Gauch mit 3:0 Scorepunkten klar für sich entscheiden, und auch Youngster Lucas Herrmann gewann 2 Punkte gegen den routinierten Jakob Paulicks. Dagegen muss Daniel Uhlig die Klasse von Fabian Lotz an diesem Gerät anerkennen und verlor 4 Punkte, und als auch Kanji Oyama ein Fehler unterlief – der einzige für ihn im gesamten Wettkampf – hatte der für die KTV turnende Armenier Artur Davtyan keine Mühe, 4 Scorepunkte zu erzielen und damit die Gerätewertung zugunsten der Hinterländer mit 8:5 Punkten zu entscheiden.

Was für die SKV bisher das Bodenturnen war, war für die KTV das Ringeturnen – bis auf ein Unentschieden konnten sie hier alle bisherigen Gerätewertungen für sich entscheiden. Hier machte sich das Fehlen von Nick Klessing jedoch besonders bemerkbar, so dass sie nur weitere 2 Punkte aufholen konnten. Dennis Goossens, belgischer Ringespezialist in Reihen der SKV und Finalteilnehmer in Rio, zeigte erneut eine Weltklasseübung und holte 5 Scorepunkte zum 5:7 aus Siegerländer Sicht. Es hätte sogar noch wesentlich besser für die SKV laufen können, wenn nicht Sebastian Bock für seine an sich sauber vorgetragene Übung durch das immer wieder mit merkwürdigen Entscheidungen auffallende neutrale Kampfgericht so hart bestraft worden wäre, dass für ihn am Ende nur 12,70 Punkte herauskamen, womit er die entscheidenden 3 Scorepunkte an seinen Kontrahenten Japser Vennemann zum Gerätesieg der KTV abgeben musste.

Durch die beiden verlorenen Geräte Seitpferd und Ringe hatte sich der Vorsprung der SKV zwar verringert, war aber zur Halbzeitpause mit 24:15 immer noch deutlich, zumal die zweite Wettkampfhälfte mit dem Sprung eröffnet wurde, dem zweiten sehr starken Gerät der Siegerländer in dieser Saison.

Hier legte die KTV Obere Lahn mit Artur Davtyan vor, der für seinen schwierigen Sprung die Tageshöchstwertung von 15,15 Punkten 4 Scorepunkte erhielt. Das sollten dann aber an diesem Gerät die einzigen Punkte für die KTV bleiben, denn die nachfolgenden Philipp Herder (14,15), Matthias Fahrig (14,95) und Kanji Oyama (14,80) gewannen ihre Duelle klar – Oyama sogar gegen Olympiasieger Fabian Hambüchen, der seinen Sprung nicht stehen konnte. Durch den Sieg an diesem Gerät mit 11:4 Punkten vergrößerte die SKV ihren Vorsprung wieder auf 35:19.

15 Punkte Vorsprung vor dem abschließenden Reckturnen sollten es schon sein, um einen knappen Sieg mit nach Hause nehmen zu können, hatten die SKV-Offiziellen aus den Ergebnissen beider Mannschaften in den letzten Wettkämpfen errechnet, 16 Punkte waren es jetzt, aber es galt noch, dass Barrenturnen möglichst fehler- und abzugsfrei zu überstehen. Hier knöpfte der KTV-Turner Davtyan seinem Gegenüber Sebastian Block gleich im ersten Duell 4 Zähler ab, wobei Bock erneut von einer unverständlichen Entscheidung des Kampfgerichts betroffen war. Zwar konnten Philipp Herder 3 und Kanji Oyama 2 Scorepunkte zurück erobern, beide waren aber ebenfalls zu schlecht beim Kampfgericht weggekommen. Als dann auch noch Lucas Herrmann nach einer ansonsten sauberen Übung seinen Abgang nicht stehen konnte und hierdurch 4 Scorepunkte abgeben musste, lautete die Gerätewertung 7:5 für die Gastgeber und der Vorsprung der Siegerländer war auf 14 Punkte zusammengeschmolzen.

Dass die KTV Obere Lahn sich nicht geschlagen geben und im alles entscheidenden Reckturnen noch einmal angreifen wollte, konnte man spätestens sehen, als sie den aktuellen Olympiasieger Fabian Hambüchen als ersten Turner ans Gerät schickte. Hambüchen turnte seine Übung zwar nicht ganz fehlerfrei, aber am Ende sicher durch und erhöhte somit dem Druck auf Tim Leibiger als erstem SKV Turner an diesem Gerät. Hatte Leibiger einer ähnlichen Situation beim Kampf gegen den Abstieg in Schwäbisch Gmünd noch glänzend standgehalten, musste er diesmal das Gerät verlassen und gab gleich einmal 5 Scorepunkte an Hambüchen und die Obere Lahn ab. Nachdem Kanji Oyama – erstmalig in dieser Saison am Reck eingesetzt – in seinem Duell gegen Jakob Paulicks einen Punkt abgab und Jonas Rohleder danach nach sehr guter Übung auf dem Mattenrand landete, sich mit den Händen abstützen musste und 4 Scorepunkte an Fabian Lotz verlor, war der gesamte Vorsprung der SKV vor dem alles entscheidenden letzten Duell auf 4 Punkte zusammen geschmolzen. Für Sebastian Bock, der die Last der Verantwortung in dieser Situation zu tragen hatte, kam es nun darauf an, nicht mehr als diese 4 Scorepunkte gegen den vielfachen WM- und Oympiateilnehmer in den Reihen der KTV, den Weißrussen Andrej Likhovitskyi, abzugeben. Einzige Strategie in dieser Situation konnte nur sein, auf Nummer sicher zu gehen, was Bock gelang, so dass er dem an diesem Gerät glänzend aufgelegten Likhovitskyi nur eben diese 4 Punkte überlassen musste. In die nachfolgenden Jubelstürme der SKV Turner, Verantwortlichen und Anhänger über das erzielte Unentschieden, welches die Finalteilnahme schon gesichert hätte, kam dann noch die Korrektur des Duells Paulicks gegen Oyama, in dem das Kampfgericht einem Protest des Sportlichen Leiters der SKV, Heinz Rohleder, statt gab, so dass der Endstand in 40:39 Punkte und einen Sieg für die Siegerländer Kunstturnvereinigung korrigiert wurde.

„Wenn mir jemand nach dem Wettkampf in Schwäbisch Gmünd, der auch mit dem letzten Duell entschieden wurde, gesagt hätte, dass diese Nervenanspannung noch einmal zu steigern wäre, dann hätte ich das nicht für möglich gehalten. Es war aber so, hinzu kam die hitzige Atmosphäre in der Biedenkopfer Sporthalle, in der die Anhänger der KTV eindeutig in der Mehrzahl waren, was vielleicht den einen oder anderen unserer jungen Turner mehr beeindruckt hat, als uns das hätte lieb sein können. Ich gratuliere allen unseren Turnern und den Verantwortlichen im Umfeld der Mannschaft zu der sensationell gut verlaufenen Saison, und wünschen ihnen, dass sie das einmalige Erlebnis der Finalteilnahme so richtig genießen können.“ So der erste Kommentar des SKV-Präsidenten Reimund Spies unmittelbar nach Wettkampfende.

„Wir waren zwar mit der einen oder anderen Entscheidung des neutralen Kampfgerichts nicht ganz einverstanden, aber es war auch nicht ganz einfach für sie. Praktisch nach jeder Übung haben die ohne Zweifel sachkundigen Kommentatoren die Übungen in ihren Bestandteilen analysiert und bewertet und somit bei dem Publikum eine Erwartungshaltung provoziert, noch bevor die Kampfrichter zu einem Urteil gekommen waren. Man stelle sich einmal vor, bei einem Fußballspiel würde der Stadionsprecher bei jedem Körperkontakt „Foul“ oder bei jedem Angriff der Auswärtsmannschaft „Abseits“ rufen, das würde auch nicht gehen. Ich bin sehr dafür, dass unsere oft so akademisch vorgetragene Sportart auch mit Emotionen und Spannungen aufgewertet wird, meine aber, in diesem Punkt sollten die Freunde von der Oberen Lahn noch einmal in sich gehen. Information und Unterhaltung für die Zuschauer ja, Kampfrichterlehrgänge bitte in einem anderen Rahmen“, so die Meinung des SKV-Vorstandsmitglieds Horst-Walter Eckhardt zu einigen strittigen Entscheidungen des Kampfgerichts, die meist zu Ungunsten der SKV ausgingen.

Ende gut – alles gut, so die Devise des gesamten SKV-Teams, die stolz auf den erreichten Erfolg als Aufsteiger sein konnte. Und dass die Turner, die sich aus vielen gemeinsamen Lehrgängen kennen und oft sogar in den gleichen Turnzentren trainieren, sehr schnell die kleinen negativen Begleiterscheinungen solcher „Endkämpfe“ vergessen können, sieht man auch daran, dass beide Mannschaften gemeinsam den Abschluss der Saison 2016 feierten, auch wenn es nur für eine von ihnen noch einen „Nachschlag“ in Form des Ligafinales am 3.12. geben wird