Kunstturn-Weltmeisterschaften 2017 in Montreal

Philipp Herder erreicht das Finale im Mehrkampf!

Eher durchwachsene Leistungen der deutschen Turner, Drama um Kohei Uchimura (Japan), dem vielleicht besten Turner aller Zeiten und neue Gesichter an der Spitze der Mehrkampfwertung - mit diesen Schlagworten kann man den Qualifikationswettbewerb der Männer bei den 47. Kunstturnweltmeisterschaften in Montreal zusammen fassen.

Doch der Reihe nach. In der ersten Wettkampfgruppe mussten die Männer des Deutschen Turnerbundes in Montreal an die Geräte gehen, was ein deutlicher Nachteil war. Erfreulich aus Siegerländer Sicht: Philipp Herder, seit acht Jahren die Nr. 1 des heimischen Bundesligisten, erreichte das insgeheim erhoffte Ziel, wurde 17. mit 79,831 Punkten und qualifizierte sich für das Mehrkampffinale der besten 24 Turner. „Grundsätzlich war mein Wettkampf ganz okay, wenn mir auch der Abgang am Reck nicht ganz gelungen ist“ war die erste Einschätzung des Berliners gleich nach Wettkampfende.

An den anderen Geräten zeigte Herder wie gewohnt solide Übungen, die vor allem am Boden und am Barren befreit vom Qualifikationsdruck auch noch Luft nach oben haben werden.

„Wichtig ist erst einmal, dass Philipp gesund durch den Qualifikationsdurchgang gekommen ist, und das Finale erreicht hat. Das ist sicher der größte Erfolg in seiner internationalen Laufbahn, und jetzt kann er im Finale ohne Druck angreifen und sich noch um einige Plätze verbessern“ freute sich SKV-Präsident mit seinem Mannschaftskapitän.

Ob die Freude angesichts der Leistungen der übrigen Turner auch auf Seiten der Verantwortlichen des Deutschen Turnerbundes lag, muss eher angezweifelt werden. Außer Herder erreichte nur „Oldie“ Marcel Nguyen (KTV Straubenhardt) ein Finale, er wurde an seinem Paradegerät Barren Siebter im Vorkampf, allerdings außer Reichweite der angestrebten Medaillenplätze. Andreas Bretschneider (ebenfalls KTV Straubenhardt) hingegen stürzte bei dem Übungsteil, welches seinen Namen trägt, vom Reck und kam nicht ins Finale. Wahrscheinlich war die Zeit der Vorbereitung nach seiner langwierigen Schulterverletzung zu kurz, um die für einen Wettkampf auf diesem Niveau notwendige Stabilität in der Ausführung seiner Übung zu erlangen.

Nicht viel besser erging es Andreas Toba (TV Wetzgau) bei seinem ersten internationalen Auftritt nach ebenfalls langer Verletzungspause. Er turnte ohnehin nur am Seitpferd und an den Ringen, spielte aber mit den Platzierungen 47 und 65 keine Rolle im Konzert der Gerätespezialisten.

Derweil spielte sich in den Abendstunden in Montreal ein wahres Drama um den seit 2009 im Mehrkampf unbesiegten Japaner Kohei Uchimura ab. 19 Medaillen bei Weltmeisterschaften und 7 bei Olympischen Spielen stehen in seinem Rekordbuch, darunter sechs Mehrkampftitel in Folge und als einer der wenigen Turner konnte „King Kohei“ seinen Olympiasieg im Mehrkampf wiederholen. Und auch in Montreal war er wieder ungefährdet auf Qualifikationskurs, bis er sich am Sprung eine Fußverletzung zuzog. Er versuchte noch, am Barren den Wettkampf fortzusetzen, musste jedoch am Reck endgültig aufgeben.

Da geriet die Entscheidung in der Mehrkampfqualifikation schon beinahe zur Nebensache. An die Spitze setzte sich mit Manrique Larduet (Kuba) ein Turner, den nur die wenigsten Experten auf der Rechnung hatten, obwohl Larduet bereits 2015 Mehrkampfsilber gewonnen hatte. Ihm folgten mit deutlichem Abstand der Chinese Ruoteng Xiao und der Russe David Belyavsky. Oleg Verniaiev, noch in Rio nur 0,05 Punkte hinter Uchimura gelegen, wurde nur fünfter, bleibt aber dennoch der große Favorit für den Titel, der in der Nacht von Donnerstag auf Freitag mitteleuropäischer Zeit entschieden werden wird.

„Es ist erstaunlich, wie viele gute junge Mehrkämpfer es wieder gibt, der 19-jährige Yul Moldauer aus den USA ist nur ein Beispiel hierfür. Er war übrigens der Mannschaftskollege von Kanji Oyama an der Universität von Oklahoma, der uns schon viel Gutes von seinem jungen Mitstreiter aus der NCAA-Meistermannschaft erzählt hatte. Vor allem in dieser Altersklasse ist der Rückstand der deutschen Turner zu der internationalen Spitze doch sehr groß geworden“ so die Analyse von SKV-Präsident Reimund Spies nach der WM-Qualifikation.

An den einzelnen Geräten setzten sich hingegen größtenteils die Favoriten an die Spitze: am Boden der japanische „Schraubenkönig“ Kenzo Shirai, am Seitpferd, den Ringen und am Barren die aktuellen Olympiasieger Max Whitlock (GBR), Eleftherios Petrounias (GRE) und Oleg Verniaiev (UKR), am Sprung der koreanische Olympiasieger von 2012, Yan Hak-seon. Am Reck führt mit Epke Zonderland (NED) ein weiterer Olympiasieger von London. Der „fliegende Holländer“ will es nach dem Rücktritt seines langjährigen Kontrahenten Fabian Hambüchen offensichtlich noch einmal wissen und führt nach einer taktisch klugen Leistung, in der er sich noch Reserven für das Finale bewahrte