Fünf Turner der SKV bei der WM in Stuttgart

Mit fünf Turnern aus dem aktuellen Kader der Saison 2019 setzt der Siegerländer Kunstturnbundesligist SKV ein Ausrufezeichen, bevor die Weltmeisterschaften im Kunstturnen der Männer und Frauen in Stuttgart (4.10.-13.10.) überhaupt begonnen haben.

Joe Fraser und Courtney Tulloch (Großbritannien), Saso Bertoncelj (Slowenien), Ahmet Önder (Türkei) und zu guter Letzt auch der Berliner Philipp Herder haben sich für das Starterfeld der bisher teilnehmerstärksten Turnweltmeisterschaften aller Zeiten qualifiziert. Die Gesamtzahl kann sogar noch um einen weiteren Turner ansteigen, wenn der Kubaner Manrique Larduet Bicet – Vizeweltmeister von 2015 im Mehrkampf – noch rechtzeitig fit wird, um in Stuttgart nicht nur in den Kampf um Mannschafts- und Einzeltitel eingreifen zu können, sondern auch frühzeitig eines der begehrten Tickets für die Teilnahme an den Olympischen Kunstturnwettbewerben im nächsten Jahr in Tokio zu erkämpfen.

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Womit schon die besonderer Brisanz dieser Titelkämpfe angesprochen wäre, bei denen es wie immer im vorolympischen Jahr nicht nur um Titel und Medaillen geht, sondern eben auch um die Olympiaqualifikation.

Noch nie waren andererseits die Qualifikationsregeln so kompliziert wie diesmal, im Bemühen, einen gerechten Ausgleich um Teilnehmerplätze hat sich der Internationale Turnerbund ein komplexes Regelwerk ausgedacht – es gibt nicht nur eine „Road to Tokyo“, sondern sieben verschiedene.

Der Weg, der die meisten Quotenplätze verspricht, und damit der wichtigste, ist die Qualifikation einer Mannschaft für die Olympischen Spiele. Drei Teams – China, Russland und Japan, als die ersten drei der vorjährigen WM in Doha/Qatar – sind schon qualifiziert, weitere neun Teams können in Stuttgart dazu kommen. Das ist auch das erklärte Ziel der Deutschen Mannschaft, mangels herausragender Individualisten wie das 2016 noch Fabian Hambüchen war, setzt man ganz auf die mannschaftliche Geschlossenheit und damit die Chance, als Team in Tokio mit dabei zu sein.

Das ist dann auch der besondere Wert von Philipp Herder für das Deutsche Team. Der 26-jährige Berliner, der in diesem Jahr seine 10. Bundesligasaison für die SKV bestreitet, hat oft genug seine Mehrkampfqualitäten gerade bei großen internationalen Wettbewerben unter Beweis gestellt. Lange Zeit war seine Nominierung nach der im Mai erlittenen Verletzung an der Halswirbelsäule unsicher, zuletzt hat er sich aber durch eine tadellose Leistung beim Dreiländerkampf am zweiten Septemberwochenende eindrucksvoll in der internationalen Klasse zurück gemeldet. So war dann seine endgültige Nominierung keine Überraschung mehr, erst recht nach der verletzungsbedingten Absage von Marcel Nguyen.

Die Deutsche Nationalmannschaft braucht im Kampf gegen die europäische Konkurrenz, aber auch aufstrebende „neue“ Turnnationen nicht nur einen Philipp Herder in Topform, sondern auch Bestleistungen der weiteren Turner Andreas Toba (TV Wetzgau), Nick Klessing (KTV Straubenhardt), Karim Rida (TuS Vinnhorst) und Lukas Dauser (TG Saar), um sich sicher qualifizieren zu können. Ein gewisser Nachteil wird sein, dass sie am ersten Tag antreten müssen, man hat also noch wenig Marken anderer Nationen, an denen man sich orientieren kann, und erfahrungsgemäß gehen die Noten der Kampfrichter im Laufe einer Veranstaltung noch tendenziell nach oben.

Größter Vorteil des Deutschen Teams ist neben der mannschaftlichen Geschlossenheit sicher der Heimvorteil – die Hans-Martin-Schleyer-Halle in Stuttgart ist auch schon für die Qualifikationswettbewerbe so gut wie ausverkauft, so dass eine Atmosphäre zu erwarten sein wird, die das Team beflügeln sollte. Das war auch 2007 bei der letzten Heim-WM der Fall, als die Mannschaft um Fabian Hambüchen und Marcel Nguyen sensationell den 3. Platz belegen konnte. Davon wagt man in den deutschen Reihen diesmal noch nicht einmal zu träumen – eine Qualifikation unter den besten acht Mannschaften wäre schon eine Sensation und die sichere Teilnahme in Tokio, aber auch einen der Plätze 9-12 würde man vor allem auch unter dem Vorzeichen der Verletzungen in der Vorbereitungszeit gerne annehmen, wäre auch damit die Olympiaqualifikation geschafft.

Ein sicherer Kandidat hingegen für die Olympiateilnahme ist das Team Großbritannien. Zwar unterlag man noch beim Testwettkampf in WM-Besetzung gegen Deutschland, kam aber direkt aus dem Training und hat auf jeden Fall noch „Luft nach oben“. Einen sicheren Startplatz in dieser Mannschaft hat Joe Fraser, der nicht nur bei den Europameisterschaften im April in Polen als Vierter im Mehrkampf auf sich aufmerksam machen konnte, sondern auch bei den nationalen Qualifikationswettbewerben ganz vorne lag. Ob Ringespezialist Courtney Tulloch im Team sein wird, entscheidet sich dagegen erst 24 Stunden vor dem Wettkampf selbst. Wenn man so will, ist das Kraftpaket aus London ein Opfer der komplizierten Qualifikationsregeln: als Spezialist kann er einen weiteren Quotenplatz über die Weltcup-Serien 2019 und 2020 für die Briten erkämpfen, das geht aber nur, wenn er nicht der Mannschaft angehört hat, die sich als solche für die Olympischen Spiele qualifiziert hat.

Diese Sorgen hat Saso Bertoncelj (Slowenien) nicht. Sein Land darf schon bei der WM keine komplette Mannschaft stellen, sondern schickt nur „Einzelkämpfer“ ins Rennen. Bei den Gerätespezialisten qualifizieren sich die ersten drei eines jeden Finalwettbewerbs für Tokio, wobei die Turner, die über eine Mannschaft schon qualifiziert sind, nicht mit gerechnet werden. Es kann also durchaus sein, dass auch ein Platz unter den ersten acht oder 10 reicht. Und wenn nicht, hat der routinierte Seitpferdspezialist ebenso wie Courtney Tulloch noch die Option, über einen guten Weltcup-Platz die Tür nach Tokio öffnen zu können.

Gespannt sein darf man auch auf den Auftritt von Ahmet Önder, der mit der Mannschaft der Türkei ebenfalls einen Platz für Tokio erkämpfen will. Möglich ist das allemal, zumal die Türken mit Siebenmeilenstiefeln den Anschluss an die internationale Klasse geschafft und noch weitere gute Mehrkämpfer und auch Gerätespezialisten in ihren Reihen haben. Ahmet Önder hat aber auch die Möglichkeit, einen individuellen Startplatz über eine Platzierung unter den besten 12 Mehrkämpfern in Stuttgart zu ergattern – auch hier werden die Turner nicht mit gezählt, die im Vorjahr oder in diesem Jahr in einer der Mannschaften war, die das Olympiaticket gelöst haben.

Und was ist mit Manrique Larduet Bicet? Bis vor kurzem sah es noch so aus, als ob er nach seiner langwierigen Handverletzung Stuttgart und damit die vorzeitige Olympiaqualifikation würde abschreiben können. Zwar gibt es auch für die Mehrkämpfer eine Rangliste aus den Weltcups und weitere Olympiaplätze, aber zu diesen Weltcups werden nur die Teams eingeladen, die in Stuttgart im Mannschaftsfinale waren. Zuletzt kamen aber gute Nachrichten aus Kuba – Manrique Larduet Bicet bereitet sich zielgerichtet auf Stuttgart vor, ist nominiert und nimmt wahrscheinlich auch teil. Und wenn er teilnimmt, ist er auch ein aussichtsreicher Kandidat für die Teilnahme an den Kunstturnwettbewerben im nächsten Jahr in Tokio.

Die Siegerländer Kunstturnfreunde dürfen sich also auch aus heimischer Sicht auf die Weltmeisterschaften freuen, zumal alle Wettbewerbe zumindest im Livestream übertragen werden und die Auftritte der Deutschen Nationalmannschaften und die Finalwettbewerbe auch bei ARD und ZDF zu sehen sind. Das Deutsche Männerteam bestreitet ihre Qualifikation am 6.10.2019, Beginn 19.30 Uhr.

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